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Unser Leben in Tansania (Teil 1)

Autorenbild: Ueli LitscherUeli Litscher

«Intensiv» ist das Wort, das unser Leben während neun Jahren in Tansania am besten zusammenfasst. Als 24-jähriger zog ich aufgrund der Feldforschung meiner heutigen US-amerikanischen Frau nach Iringa, ins südliche Hochland Tansanias. Anschliessend lebten wir währen neun Jahren in unterschiedlichen Teilen des Landes. Täglich erlebten wir während dieser Zeit Freude, Frustration, Motivation und Herausforderungen. Jeder Tag brachte Unvorhergesehenes. Wir mussten flexibel sein und unsere Pläne immer wieder anpassen. Regelmässig erlebten wir am selben Tag Angst, waren echten Gefahren ausgesetzt und konnten es dennoch kaum glauben, an so einem schönen Ort leben zu können. Ich hätte jeden Tag mehrere Seiten in einem Tagebuch füllen können. Es gab keine «Normalität» oder «Routine».


Diese Erfahrungen will ich jetzt mit euch teilen, in einem fünf-teiligen Newsletter zu unserem Leben in Tansania. In diesem Teil 1 nehme ich euch mit auf eine Reise voller Abenteuer, intensiver Herausforderungen und lebensverändernder Lektionen, die wir während unseren neun Jahren in Tansania erlebten und die unser Leben bis heute nachhaltig prägen.


Bild: Eines meiner ersten Treffen mit Korbflechterinnen in Iringa
Bild: Eines meiner ersten Treffen mit Korbflechterinnen in Iringa

Unsere verschiedenen Leben in Tansania:

 

Meine heutige Frau und ich, lebten verschiedenste Leben in Tansania, stets in Begleitung unserer zwei Katzen und Hunde, die im Busch und auf den Strassen Tansanias aufwuchsen. Wir lebten in Iringa, einer kleinen Provinzstadt im südlichen Hochland. Danach zog ich für einen Zivildiensteinsatz in ein abgelegenes Dorf in der Mbeya Region im Westen des Landes, wo ich ein kleines Wasserprojekt leitete.

 

Wir lebten auch das typische «Expat-Leben» in Dar es Salaam, dem Wirtschaftszentrum Tansanias. Dort lebten wir in einer «künstlichen Blase» von grösstenteils weissen Entwicklungshelfern und Botschaftsangestellten, in einem Haus mit Gärtner, Wachmann und Putzfrau, auf einer Halbinsel umringt vom indischen Ozean. Durch meine eigenen Projekte, vor allem mit der Gründung von WomenCraft als Unternehmen, zog es mich dann wieder zurück in das «echte» Tansania, mit regelmässigen Reisen ins abgelegene Ngara und in die Flüchtlingslager im Nordwesten des Landes, wo wir unsere WomenCraft Körbe herstellen.

 

Diese verschiedenen Leben brachten alle ihre eigenen Erfahrungen und Herausforderungen mit sich, von denen ich euch im Folgenden mehr erzähle.

 

Bild: eine Frau trägt einhändig einen grossen Bund Feuerholz auf dem Kopf.
Bild: eine Frau trägt einhändig einen grossen Bund Feuerholz auf dem Kopf.

Das Leben in abgelegen Gemeinschaften:

 

Das ländliche Leben in Tansania war äusserst bereichernd, weil wir wirklich in die lokalen Gemeinschaften integriert waren. Wir lernten fliessend Swahili, die Landessprache Tansanias, was den Menschen grosse Freude bereitete und uns Teil machte vom lokalen Leben. Wir arbeiteten gemeinsam und auf Augenhöhe an Lösungsansätzen zur Verbesserung der Lebensumstände vor Ort. Wir lernten viel über die lokalen Traditionen, nahmen Teil an Festen und spielten mit in der lokalen Fussball-Liga. Wir assen das lokale Essen, für mich meist Reis mit Bohnen und «Mboga za Majani», ein grünes Gemüse aus unterschiedlichen Blättern.

 

Gleichzeitig erlebten wir natürlich auch das oft schwierige Leben der Familien im ländlichen Tansania, wo die Menschen ohne fliessendes Wasser, Strom und ohne adäquate Gesundheitsversorgung leben. Viele sind Subsistenzbauern und leben vom Ertrag aus ihren Feldern. Wenn es zu viel oder zu wenig regnet oder die Felder von einer Krankheit befallen werden, kommt es zu Ernteausfällen und die Familien hungern.

 

Wir erlebten die schwierigen Bedingungen im ländlichen Tansania unter anderem dadurch, dass das lokale Leben fast wöchentlich stillstand, weil die ganze Gemeinschaft an einer Beerdigung teilnahm. Oft waren die Todesursachen behandelbare Krankheiten, wie Durchfall-Erkrankungen oder Malaria. Selbst eine kleine Wunde, die sich entzündet, kann in diesem Kontext zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Auch wir verloren Freunde.


Bild: Frauen holen Trinkwasser von einer lokalen Quelle
Bild: Frauen holen Trinkwasser von einer lokalen Quelle

Im ländlichen Tansania gibt es einen grossen Mangel an kompetentem Gesundheitspersonal. Spitälern und Gesundheitsposten fehlt es meist an den einfachsten Medikamenten. Deshalb machten wir immer wieder Transporte von verletzten und kranken Menschen in die weiter entfernten Spitäler, zu denen sich Familien die Reisekosten oft kaum leisten konnten.

 

Einmal kamen wir an einem schlimmen Unfall vorbei, wo ein Tanklastwagen von der Strasse abkam und die Seite des Berges hinunterstützte. Der Beifahrer war schwer verletzt und wir luden ihn in unser Auto ein und rasten ins nächstgelegene Provinzspital, welches zwei Stunden entfernt war. Im Spital angekommen wurde mir gesagt, dass ich die Medikamente, inklusive Paracetamol, in der Apotheke in der Stadt kaufen gehen müsste. Also fuhr ich in die Stadt, nur um zu erfahren, dass auch die Apotheke die nötigen Medikamente seit Wochen nicht mehr an Lager hatte. Mir wurde gesagt, dass wir es im nahegelegenen Missions-Spital versuchen sollen. Also luden wir den schwerverletzten Mann wieder ein und fuhren in das Missions-Spital, wo der Mann endlich behandelt werden konnte.

 

Bild: WomenCraft Flechterin Esperance
Bild: WomenCraft Flechterin Esperance

Was uns aus unserer Zeit im ländlichen Tansania am meisten bleibt ist die Lebensfreude und Resilienz der Menschen. Trotz der schwierigen Lebensbedingungen begegnen einem die Menschen stets mit einem echten Lachen, es wird viel gefeiert, geteilt und man regt sich eigentlich nie auf. Diese Erfahrungen haben uns geholfen, vieles in unserem eigenen Leben in eine neue Perspektive zu setzen, und wir konnten wertvolle Lektionen daraus ziehen, die uns auch heute in unserem Alltag in Bern weiterhin begleiten.

 

Das Leben in der «bubble», der Expat-Oase in Dar es Salaam:

Bild: die Peninsula in Dar es Salaam
Bild: die Peninsula in Dar es Salaam

Nach drei Jahren im ländlichen Tansania zog uns die Arbeit meiner Frau nach Dar es Salaam, das Wirtschaftszentrum Tansanias, wo wir uns auf einer Halbinsel (der "Peninsula"), ca. 2km ausserhalb vom Stadtzentrum niederliessen. Das Leben auf der Peninsula hätte nicht unterschiedlicher sein können im Vergleich zum Leben in den Dörfern. Wir waren umringt von Entwicklungshelfern in internationalen Organisationen und Botschaftsangestellten. Viele von diesen lebten ein von Luxus geprägtes Leben in teuren Villen und mit abendlichen Drinks im Jacht-Klub. Anfänglich war die Umstellung auf das luxuriöse und teils oberflächliche Leben auf der Halbinsel schwierig für uns.


Wir merkten aber auch, dass das Leben auf dem Land uns viel abverlangt hatte. Die vergleichsweise Einfachheit des Lebens in der «Expat-Bubble» wurde immer mehr zu einer willkommenen Entlastung. Wir lebten 2 Minuten vom türkisblauen indischen Ozean, wo ich während sechs Monaten im Jahr surfen konnte. Tropische Inseln waren mit dem Boot oder kleinen Flugzeugen in einer Stunde erreichbar. Wir genossen exzellente internationale und lokale indische Restaurants in der grossen indischen Gemeinschaft. Praktisch jeden Abend machten wir Sport (Fussball, Beach Volleyball, Ultimate Frisbee usw.) mit anschliessenden Drinks in einer der vielen Strandbars. Am Wochenende gingen wir ins Kino oder besuchten Konzerte von lokalen Bands. Bei Notfällen waren gute internationale Kliniken in der Nähe und wir hatten eine Mitgliedschaft für Not-Evakuationen nach Nairobi.

 

Bild: Coco Beach, unser Hausstrand, ca. 2 Minuten von zuhause entfernt.
Bild: Coco Beach, unser Hausstrand, ca. 2 Minuten von zuhause entfernt.

Trotz all den Vorzügen unseres neuen "Expat Lebens" hatten wir bis zum Schluss Mühe mit der "Naivität" vieler Expats, die kein Wort Swahili sprachen, wenig Verständnis hatten von der Realität von 99% der Bevölkerung im Land, sich kaum je ausserhalb der «Bubble» bewegten und sich drei-mal in der Woche im Jacht-Klub trafen. So war es uns auch in Dar es Salaam immer wichtig, unsere lokale Verankerung weiterzupflegen. Wir machten lokale Freundschaften und knüpften enge Beziehungen mit unseren Hausangestellten und ihren Familien, die wir bis heute von der Schweiz aus unterstützen.

 

Und natürlich bringt das Leben in der Grossstadt auch seine Herausforderungen mit sich. Das Leben in der Stadt war in vieler Hinsicht sogar intensiver als auf dem Land. Im Gegensatz zum ländlichen Tansania gibt es in der Stadt viel Kriminalität. Wir kannten kaum jemanden, der nicht mindestens einmal ausgeraubt wurde oder schlimmer. Einer unserer besten Freunde wurde angeschossen, als er auf dem nach Hause Weg an einem Banküberfall vorbeilief.

 

Wegen der Kriminalität waren wir in der Stadt mit dem Auto unterwegs. Die Autoscheiben waren oben und wir wussten immer, wer hinter und vor uns war. Wenn wir am Tag irgendwo hinliefen, liefen wir immer gegen den Verkehr, um zu vermeiden, dass Kriminelle aus dem fahrenden Auto uns unsere Taschen vom Körper reissen konnten. In solchen "bag-snatchings" wurden Freunde von uns schwer verletzt. Deshalb hatten wir auch nur wenn absolut nötig Taschen oder anderes Gepäck dabei. Im Haus hatten wir Wächter und eine Mauer mit Stacheldraht drauf. Über dem Bett hing unser «panic button», mit dem wir per Knopfdruck den Sicherheitsdienst mobilisieren konnten.

 

Wichtig zu erwähnen ist, dass die Kriminalität nicht ein Expat Problem ist. Auch unsere lokalen Freunde in der Stadt litten darunter. In Bezug auf die Kriminalität ist das Leben auf dem Land deutlich freier. Auf dem Land waren wir auch nachts noch zu Fuss unterwegs und verschwendeten kaum einen Gedanken an unsere Sicherheit.

 

Bild: Stau während der Regenzeit
Bild: Stau während der Regenzeit

Eine weitere Belastung im Stadtleben ist der Verkehr und damit verbundene Polizeikontrollen. Durch unsere Projekte bewegten wir uns viel in lokalen Vierteln der Stadt, wo uns der Verkehr bei 32 Grad, geschlossenen Fenstern und einer kaputten Klimaanlage den letzten Nerf raubten. Fahrten von zwei Kilometern konnten schnell mal über eine Stunde dauern. Dazu kommt, dass der Verkehr oft ein Resultat war von Politikern, die in langen Polizei-Konvois den Verkehr lahmlegten, damit sie schneller als alle anderen nach Hause konnten. Ich empfand das immer als erniedrigende Ungerechtigkeit. Ich lernte aber auch hier, dass auch das zum lokalen Leben gehört und ich der einzige war, der sich darüber aufregte.

 

In der Stadt grassierten saisonal auch Malaria und Dengue, mit denen meine Frau und ich schmerzhafte Erfahrungen machten. Wie während unserer Zeit auf dem Land organisierten wir auch in der Stadt immer wieder Notfall-Transporte von Familienmitgliedern von lokalen Freunden in die internationale Klinik und übernahmen die notwendigen Behandlungskosten, die ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstiegen.

 

Wir spürten auch, dass das Leben in der Stadt deutlich angespannter war als auf dem Land. Als weisse Expats erfuhren wir dies zum Beispiel dadurch, dass wir täglich mehrmals das Wort «mzungu» hörten. «Mzungu» hat seinen Ursprung in der frühen Kolonialzeit und bedeutet so viel wie «ziellos Herumwandernder» oder «Wanderer». Heute steht es synonym für «Weisser». Leider hört man «mzungu» oft in einem negativen und teils fast aggressiven Ton, was unangenehm ist. Im Gegensatz zum Landleben, fühlten wir uns in der Stadt deshalb weniger als Teil der lokalen Gemeinschaft.

 

Bild: Meine Frau bei ihrer Feldarbeit im unserem ersten Jahr in Tansania.
Bild: Meine Frau bei ihrer Feldarbeit im unserem ersten Jahr in Tansania.

Unsere Leben in Tansania auf dem Land und in der Stadt brachten also ihre eigenen Erfahrungen und Herausforderungen mit sich. Beiden gemeinsam ist die Intensität des Lebens. Nach neun intensiven Jahren in Tansania blicken wir mit einem Herzen voller Dankbarkeit, aber auch Wehmut auf diese Zeit zurück. Selbst die dramatischen Umstände unserer erzwungenen und abrupten Abreise (mehr dazu im vierten Newsletter im April) konnten unsere Gefühle gegenüber unserer Zeit in Tansania nicht trüben.

 

Unser Leben in Tansania war geprägt von tiefen Freundschaften, täglichen Herausforderungen, wilden Abenteuern und unvergesslichen Erlebnissen – ob in abgelegenen Dorfgemeinschaften oder in der pulsierenden Grossstadt Dar es Salaam. Die Wärme und Resilienz der Menschen, sowie die unzähligen Lebenslektionen, die wir dort lernen durften, werden uns ein Leben lang begleiten.

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