Als sozialer Unternehmer im bürokratischen Dschungel Tansanias
- Ueli Litscher
- 24. März
- 6 Min. Lesezeit

“Rudi tena kesho” (“komm morgen wieder”) ist die Antwort des Beamten in der BRELA (Business Registration und Licensing Agency) im Zentrum von Dar es Salaam, der grössten Stadt Tansanias. Diesmal ist die zuständige Person für die jährliche Erneuerung unserer Business License auf einer Dienstreise. Gestern hiess es “Mtandao unasumbua”, was so viel heisst wie “das Netzwerk funktioniert nicht, weshalb wir deinen Antrag heute nicht bearbeiten können”. Letzte Woche wurden wir wieder nach Hause geschickt, weil uns ein Dokument fehlte, welches neuerdings für die Business License notwendig ist. Schon wieder sass ich vergebens 1.5 Stunden im Verkehr in der tropischen Hitze. Grundlos von der Polizei kontrolliert wurde ich nur einmal. Zum Glück kam ich ohne Busse davon, weil ich es mit einem wirklich netten Polizisten zu tun hatte, der begeistert war von meinem fliessenden Swahili. Dafür ist die Klimaanlage im Auto gestorben und ich konnte mich mit Glace von Strassenverkäufern im Verkehr kühl halten.
Diese kurze Geschichte beschreibt ein echtes und typisches Erlebnis mit der Bürokratie in Tansania. Solche Erlebnisse sind ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens als soziale Unternehmer in dem Land. In diesem Blogpost geben wie euch einen Einblick in das Abenteur, in Tansania ein Unternehmen zu gründen und voranzutreiben.

Verloren im bürokratischen Dschungel
Alleine für die Gründung von WomenCraft als Unternehmen brauchten wir fast ein halbes Jahr. Der wichtigste Grund dafür waren die unzähligen Dokumente, welche wir in den unterschiedlichsten Ministerien abliefern mussten zum Erhalt der rund 14 Lizenzen und Permits, die es zur Unternehmensgründung braucht. Wie in der Einleitung beschrieben, braucht man für alles normalerweise mehrere Anläufe. Für unsere Gründung kam hinzu, dass es Regenzeit war und die Regierungssyteme leider schlecht funktionieren, wenn es regnet. Am Ende waren wir überglücklich, als wir endlich alle notwendigen Papiere erhielten und WomenCraft als Unternehmen im System registriert war.
Unser Leben als soziale Unternehmer im bürokratischen Dschungel Tansanias konnte beginnen. Ich verbrachte die ersten Monate nach unserer Gründung mit dem Herausfinden und Lernen der Regeln und Vorschriften. Fast täglich war ich unterwegs in Regierungsgebäuden. Ich etablierte ein gutes Netzwerk von “Freunden” in Ministerien, die helfen konnten, wenn wir ein Problem hatten. Bei jeder Fahrt in die Stadt nahm ich unnötig viele Dokumente mit, von allen mindestens drei Kopien, und unser WomenCraft-Stempel, der überall immer drauf muss, wurde zum festen Bestandteil meines Rucksacks. Langsam lernte ich die Spielregeln und entwickelte einen Kalender mit allen Vorschriften, die wir als Unternehmen in Tansania einhalten müssen.

Compliance als Vollzeitjob
Zusammengefasst müssen wir als kleines soziales Unternehmen jeden Monat sechs verschiedene Steuern zahlen und dazu jedes Mal zahlreiche Dokumente ausfüllen und abstempeln lassen in unterschiedlichen Regierungsgebäuden, die in der ganzen Stadt verteilt sind. Wie anfänglich erwähnt ist jede Reise ins Stadtzentrum verbunden mit mehreren Stunden im Stau und mindestens einer Polizeikontrolle. Quartalsweise, halbjährlich und jährlich kommen zusätzliche fünfzehn Steuern, Lizenzen und Berichte hinzu, die wir abliefern oder erneuern müssen: so zum Beispiel die oben genannte Business License, die Export License, die City Service Levy, den Workers Compensation Fund, die License for Trader in Forest Products (weil unsere Körbe aus Gräsern gemacht werden), Briefe der Lokalbehörde, dass wir die Gräser wirklich vor Ort anbauen und ernten, die Withholding Tax für die Miete unserer Büroräume, die Skills Development Levy, die Stamp Duty usw.
Alles zusammengefasst nennt man dies “Compliance”, was auf Deutsch so viel bedeutet wie “Einhaltung der Vorschriften”. Die Compliance in Tansania ist so vielfältig, dass es fast unmöglich ist, seinen Weg zu finden und immer alles am richtigen Ort, mit den richtigen Dokumenten und zum richtigen Zeitpunkt abzuliefern. Fehler werden mit unverhältnismässig hohen Bussen bestraft.

Josiah: Unser Guide aus dem Dschungel
Mit dem schnellen Wachstum von WomenCraft merkte ich bald, dass die Compliance Aktivitäten einen viel zu grossen Teil meiner Zeit beanspruchten – ich machte mehr Compliance als anderes. Hinzu kam, dass nach der Machtübernahme des autokratischen Präsidenten Magufuli im Jahr 2015 die Compliance-Regeln immer stirkter wurden und sich immer wieder änderten. So wurde zum Beispiel unsere ursprüngliche Registrationsform als non-profit Unternehmen von einem Tag auf den nächsten verboten, unter dem Vorwand, dass für Unternehmen die Profitmaximierung das oberste Ziel sein muss. Wie immer war es sehr schwierig herauszufinden, was das für uns bedeutete. Selbst die Beamten wussten nicht mehr, was noch galt und was nicht. Schlussendlich mussten wir nochmal mehrere Monate aufwenden, um WomenCraft als non-profit Unternehmen aufzulösen und als normale Firma (GmbH) neu zu registrieren.
Anfangs 2019 wurde eine unserer grössten Lieferungen in einer abgelegenen Region Tansanias von einem lokalen Büro des “Tanzania Forest Service” aufgrund einer neuen Regel für über zwei Wochen beschlagnahmt. Die Kisten mit Körben gefüllt standen in der Regenzeit Auf einem Vorplatz des Forest Service und jeder weitere Tag erhöhte die Chance, dass die ganze Ware kaputt gehen würde. Am Ende überlebten es die Körbe zum Glück grösstenteils unbeschädigt. Aber wir verpassten unseren Exporttermin und verloren deswegen fast einen unserer wichtigsten Kunden.
Dies war für uns der Punkt, an dem wir entschieden unsere Compliance auszulagern an Josiah, einen von tausenden lokalen “Compliance Experten” in Tansania. Josiah hatte ein Netzwerk von Angestellten, die nichts anderes machten, als jeden Tag mit Bündeln von Dokumenten ihrer Klienten die Regierungsgebäude zu “belagern”, um sicherzustellen, dass alle Steuern und Berichte korrekt eingereicht und alle Lizenzen und Permits rechtzeitig erneuert wurden. Josiah war auch stehts auf dem Laufenden bezüglich Änderungen der Compliance-Regeln. Durch die Zusammenarbeit mit Josiah und seinen Leuten konnte ich meinen Fokus endlich auf Aktivitäten für das Wachstum von WomenCraft legen. Trotz der signifikanten zusätzlichen finanziellen Kosten lohnte sich die Kollaboration mit Josiah anfänglich. Leider hörten wir plötzlich immer weniger von Josiah und es kam vermehrt zu Verspätungen in unserer Compliance. Josiah hatte neue Kunden angeworben und wir waren nicht mehr Teil seines Plans. Heute machen wir unsere Compliance mit einer lokalen Firma mit mehr Kapazität.

Politische Instabilität:
Wie oben erwähnt, kam im Jahr 2015 Präsident Magufuli an die Macht. Buchstäblich über Nacht änderte sich alles für Tansania und für uns als ausländische Unternehmer. Magufuli etablierte in wenigen Wochen autoritäre Strukturen im Land und ging mit voller Kraft gegen ausländische Investoren und Unternehmer vor. Selbst wir als soziale Unterhemer wurden in den gleichen Topf geschmissen wie die grossen ausbeuterischen internationalen Goldminen im Land.
Unsere Aufnethaltsbewilligungen wurden nicht mehr erneuert. Wir bekamen lediglich temporäre „Business Visas“, für welche wir alle drei Monate das Land verlassen mussten und mit welchen wir eigentlich nicht als Unternehmer in Tansania tätig sein durften. Polizeikontrollen waren nicht mehr nur anstrengend, sondern waren mit echten Gefahren verbunden, weil man neu seinen Pass mit der Aufenthaltsbewilligung immer dabei haben musste. Ein Zustand der Angst etablierte sich im Land, auch unter der Lokalbevölkerung. Diese Angst führte dazu, dass Beamte sich gezwungen sahen Resultate zu zeigen. Wir erlebten Razzien der Immigrations- und der Steuerbehörde. Eine Razzia erlebten wir mitten in der Nacht, in unserem Hotel in der Region der Flüchtlingslager (mehr dazu im nächsten Blogpost).
Regeln änderten sich über Nacht. Nicht selten sagte Magufuli etwas in einer Rede und am nächsten Tag wurde es zum neuen Gesetz. Der sonst schon unübersichtliche bürokratische Dschungel wurde zum Chaos. Niemand wusste mehr was noch gilt und was nicht. Die Reaktion der Beamten war, immer weniger zuzulassen, um ja nichts falsch zu machen. Selbst unsere etablierten Beziehungen zu Regierungsangestellten konnten uns nicht mehr weiterhelfen. Es waren schwierige Jahre unter Magufuli. Für uns als ausländische Unternehmer und für die tansanische Bevölkerung generell.
Magufuli war auch einer der weltweit grössten Corona-Verleugnern. Im Land durften weder Corona Zahlen gesammelt, noch darüber berichtet werden. Wer dem zuwider handelte landete schnell Mal im Gefängnis. Im März 2021 starb Magufuli dann selber vermutlich an Corona. Seine Nachfolgering Mama Samia ist die erste Präsidentin Tansanias. Unter ihrer Führung öffnete sich Tansania langsam wieder und unser Leben als ausländische Unternehmer hat sich deutlich entspannt.

Digitalisierung als Lösung
Zum Abschluss wollen wir hervorheben, dass es über die letzten Jahre zu äusserst positiven Entwicklungen kam, welche das Unternehmertum im bürokratischen Dschungel Tansanias deutlich vereinfacht haben. Im Herz dieser Entwicklungen ist die wachsende Digitalisierung der Regierungssysteme. Eine Vielzahl der Prozesse können mittlerweile vom eigenen Laptop im Online-Regierungssystem abgewickelt werden. Zum Beispiel die Business License kann man heute innert weniger Tage 100% online beantragen. Ich könnte den ganzen Prozess von meinem Wohnzimmer in Bern abwickeln. Sämtliche Dokumente können online im Regierungssystem hochgeladen werden. Gebühren, Polizeibussen und Steuern sind mit Referenznummern versehen und können mit einer Handy-App (eine Art tansanisches TWINT) oder per e-Banking bezahlt werden. Dies macht die Compliance viel effizienter und reduziert zudem die vielen Korruptionsmöglichkeiten des alten Systems.
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